Das nachhaltige 2019 Nachhaltigkeit

Die Tafeln, der Überkonsum und das System

21. Januar 2019

Die Tafeln

Ihr Lieben,

vor ein paar Tagen verbrachte ich einen Vormittag bei der „Ratzeburger Tafel“. Ich war dabei nicht nur ein passiver, beobachtender Teil des Ganzen, sondern brachte mich (so gut es ging) auch aktiv mit ein.

Ich sortierte Lebensmittel, half bei der Ausgabe und sprach mit einigen der Helfer:innen über das System Tafel, die persönliche Einschätzungen und die Frage „Warum muss es so eine Institution wie die Tafel überhaupt geben?“, um mir selbst eine umfassendere Meinung zu bilden. 

Nun fragt ihr euch vielleicht: „Franzi, warum interessiert dich das so?“ 

Die Tafeln, der Überkonsum und das System - Die Tafeln Deutschland

Der Überkonsum, die Tafeln und die Armut

Die Tafeln sind für mich immer wieder das beste Beispiel für Überproduktion, sowie Überkonsum und die Problematik hinter dem Thema „Was wäre, wenn es keinen Überkonsum, keine Überproduktion gäbe.“

Denn Fakt ist – wäre die Überproduktion und der Überkonsum und unser Angst vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum nicht, gäbe es die Tafeln wohl nicht, denn dann würde schlichtweg zu wenig übrig bleiben. 

Aber gäbe es die Faktoren Überproduktion und Überkonsum nicht und damit auch keine Tafeln, dann wäre es für viele Menschen schlicht unmöglich sich ausreichend und anständig zu ernähren. 

Ein ewiger Kreislauf, aus dem man scheinbar kaum ausbrechen kann. 

Die Tafeln, der Überkonsum und das System - Armut kennt viele Gesichter

19% Armut in Deutschland

Es gilt nun aber rund 19% Armut in Deutschland aufzufangen. Dazu zählt nicht nur die offensichtliche Armut als zum Beispiel Obdachloser oder Hartz4 Empfänger. Zu dieser Armut zählen auch die Geringverdiener*innen, Kinder und vor allem Rentner*innen.

Wer weniger als 13.152 Euro im Jahr verdient oder soziale Leistungen mit dem Hartz4 Satz bezieht, gilt als armutsgefährdet bzw. schlicht weg arm.  

19% die man durch Institutionen wie „die Tafel“ unterstützen kann und 19% für die eine Institution wie die Tafel oftmals lebensnotwendig ist.

19% die darauf hoffen müssen, dass uns im Supermarkt zu viel vorgesetzt wird, was wir dann eh nicht kaufen können oder wollen. Und dann ist da ja noch die Sache mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum. Denn davor hat unsere Gesellschaft eine irrsinnige Angst und wirft (im Handel und privat) mal eben den Joghurt weg, der gestern abgelaufen (und trotzdem noch monatelang gut sein kann) ist. Man kann ihn ja fix und günstig nachkaufen, wenn man ihn dann braucht. Was kostet die Welt…

19% die unsere Gesellschaft schlichtweg und im großen Stil als Aussätzige behandelt. „Sollen sie doch schauen, wie sie klar kommen und halt arbeiten gehen.“ tönt es da oft ohne großes Hintergrundwissen. 

Das System läuft falsch…

Für mich persönlich ist die Tafel eine gute Idee, allerdings in einem falschen System! Denn wie kann es sein, dass wir unseren Überkonsum und die Überproduktion (an erster Stelle) als gegeben und nützlich und sinnvoll anerkennen, damit ärmere Gesellschaftsmitglieder, am Ende der Kette, genug zu Essen haben? 

Warum ist es nicht machbar ein System zu schaffen, bei dem ALLE bedürftigen Menschen eine fairen und angepassten Zugang zu einem Grundbedarf  an Lebensmitteln haben und das nicht erst in letzter Instanz, mit teilweise abgelaufener (auch wenn das alles noch gute Produkte sind!) oder nicht mehr ganz tauffrischer Ware?

Geht das nicht gleich zu Beginn dieser wirtschaftlichen Kette? Warum versorgen wir unsere Armen nicht im Vorweg? Was doch möglich wäre, wenn wir annehmen, dass die Überproduktion und in Folge dessen das Wegwerfen von Lebensmitteln doch auch sehr wirtschaftlich scheint!?
(Empfehlung zu dieser These – der Film „Taste the Waste“)

Denn Fakt ist doch weiterhin 19% aller Menschen hier in Deutschland leben armutsgefährdet oder in Armut.

Die Überproduktion der Industrie ist ebenfalls ein Fakt, welcher derzeit eher noch Fahrt aufnimmt, als dass es eine nachhaltige Verbesserung geben würde. 

Warum können wir aus dieser Situation nicht etwas erschaffen, was nicht nur der Gesellschaft hilft, sondern auch die Überproduktion ein klein wenig eindämmt, weil von Anfang an anders verteilt wird. 

Kritiker werden jetzt laut rufen: „Aber ja, dann sind wir dann plötzlich alle arm und die Industrie bricht zusammen und unsere arme Wirtschaft…“ 

Ernsthaft?! 

Wer ist schon gerne arm?

Es ist ja nun wirklich nicht so, dass es ein Trend wäre arm zu sein oder es wirklich Menschen gäbe, die aus ganzem Herzen anstreben arm zu sein.

Kein Mensch ist gerne arm. Kein Mensch gibt gerne zu, dass er sich einen normalen Einkauf im Supermarkt oder auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nicht leisten kann. 

Wir werden nicht plötzlich alle arm und ruhen uns darauf aus, wenn sich das System in etwas positives ändert und wir allen bedürftigen Menschen mehr Zugang zu Lebensmitteln schaffen! 

Das Einzige was sich ändert, ist doch die Tatsache, dass wir allen armutsgefährdeten und armen Menschen mehr Respekt zollen, sie als Teil unserer Gesellschaft sehen und nicht als „die, die dann das bekommen was übrig bleibt!“ 

Habe ich schon erwähnt, dass dieses System bisher einfach falsch läuft??? 

Die Tafeln, der Überkonsum und das System - Lösungen und alternative Wege

Die Lösungen

Es ist nicht so, dass ich mich befugt fühle, hier die großen Lösungen in den Raum zu werfen, auf Richtigkeit zu plädieren oder mir raus nehme euch zu sagen „DAS ist DER einzige und richtige Weg!!!“ Das wäre Quatsch. 

Ich fühle mich jedoch befugt darüber zu reden, wie es vielleicht sein könnte, wo ein Ansatz wäre und wo man schlichtweg etwas besser machen könnte. 

In meinen Vorstellungen wäre die Tafel eher eine staatlich geregelte Angelegenheit, denn die Idee die Lebensmittelüberproduktion wenigstens in erster Instanz zu nutzen, wäre privat wohl leider nicht immer umsetzbar.

Dazu kommt, dass die Tafel immer wieder händeringend nach ehrenamtlichen Helfern sucht (Achtung, das ist ein Appell an euch alle!) und es immer wieder vorkommt, dass für all die Arbeit viel zu wenig Menschen vor Ort sein können. In (m)einem staatlichen System könnten und müssten feste Arbeitsplätze dafür geschafft werden, was zwar noch Raum für ein Ehrenamt lässt, aber die Last ein wenig von deren Schultern nimmt. 

Die Tafel würde es damit auch weiterhin geben, aber nicht mehr nur als direkte Stelle zur Ausgabe der Lebensmittel, sondern auch als Ort der Zusammenkunft und Begegnung, ein Ort zum Klönen und manchmal auch ein Ort um wieder Kraft zu tanken. Mit der Möglichkeit, direkt vor Ort, eine warme Mahlzeit am Tag zu sich zu nehmen, gekocht aus den Produkten, die dann wirklich noch übrig bleiben und trotzdem noch einwandfrei sind. Ein sinniger und nachhaltiger Kreislauf! 

Foodsharing und Co. kümmerten sich weiterhin um die Dinge, die übrig bleiben würden und würden sie auch weiterhin und zusätzlich an soziale Einrichtungen spenden. Alles in allem würden diese „Reste“ deutlich geringer ausfallen wir hätten ein System geschaffen, was respektvoller, positiver und sinniger funktionieren würde. 

Und ja, das mögen naive Gedanken sein, aber irgendwo muss man doch mal anfangen um- und weiterzudenken, oder? 

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0 Comments

  1. Reply Aska 22. Januar 2019 at 11:01

    Gute Worte die hoffentlich zum nachdenken anregen. Auch ich gehöre zu den Menschen, die als arm gelten. Habe aber das Glück ein Erwerbsunfähigkeitsrenteneinkommen zu haben, das etwas höher liegt (nur halt immer noch unterhalb dessen, was in Deutschland als Armutsgrenze gilt). Dennoch bin ich immer wieder froh, wenn mein Bur (hochdeutsch: Bauer) Obst und Gemüse zweiter Wahl hat. Obst und Gemüse, welches die Frechheit hatte, einfach nicht normgerecht zu wachsen. Eine krumme Gurke, zu kleine Rote Beete/Kartoffeln, dreibeinige Möhren oder einfach welche, die viel zu groß sind (ich hatte mal ne Möhre mitbekommen, die war so groß wie ne Gurke, reichte bei mir dann eine ganze Woche *lach*). Manchmal ruft mein Bur mich auch am Tag vorher an, ob ich am nächsten Tag komme und was ich benötige. Wenn er dann davon zweite Wahl hat ist ein Teil meines Einkaufes schon fertig – teilweise mit der ein oder anderen Überraschung in der Tüte. Das ist etwas, was er bei jedem Stammkunden macht.

    Ohne das System der Tafel würden viele einfach Hunger schieben. Gäbe es kaum oder gar keine Abwechslung auf den mageren Speiseplan. Und da frage ich mich auch: Warum dürfen die Burn ihre nicht genormte Ware, Ware die sie nicht in den Handel bringen können/dürfen, nicht einfach der Tafel anbieten? Es wäre frische Ware, vielleicht ein bisschen krumm, zu groß, zu klein, vielleicht mit ner Wachstumsnarbe – aber deshalb doch nicht ungenießbar! Es ist Natur, dass das Gemüse und Obst nicht normgerecht wächst. Ob sie es nun wegwerfen oder kostenlos weitergeben – der „Verlust“ wäre wohl der Gleiche. Nur mit dem Unterschied das im zweiten Fall Menschen gute und gesunde Lebensmittel bekommen, die sie sich so nicht leisten könnten.

  2. Reply Janine 23. Januar 2019 at 08:43

    Liebe Franzi.
    Ich hab jetzt eine Weile nachgedacht. Das Problem am System ist ja, dass die Armen kein Interesse wecken. Früher wurde offen von Schmarotzern, Taugenichtsen und wertlosen Bürgern gesprochen. Heute geht das nicht mehr, weil darf man nicht sagen, und so versteckt man das gleiche Denken hinter Systemen wie Hartz 4.
    Wird schon einen Grund haben, dass die nichts haben. Müssten sich mehr anstrengen. Jeder kann was werden, wenn er nur will. Aber die wollen ja nicht. Und weil sei nicht wollen, müssen wir sie gängeln und mit viel zu wenig „Stütze“ abspeisen. Sind wir nicht großzügig in unserem Sozialsystem?! Ei wie schön.

    So lange also so gedacht wird, so lange wir darüber diskutieren, ob das Streichen von Sozialleistungen als Sanktion nicht doch irgendwo ok ist und so lange wir der Meinung sind, ein bedingungsloses Grundeinkommen/Recht auf lebenswerte Grundversorgung sein eine Utopie der Gutmenschen, so lange wird es Tafeln und andere caritative Einrichtungen geben müssen. Und diese nicht in staatlicher Hand. Sonder könnte man ja unwilligen Bedürftigen mal eben den Zutritt verweigern, weil sie nicht tun, was man sagt.
    Das es zu wenig Gelder und zu wenig HelferInnen gibt, ist vielleicht ein anderes Thema. Da könnte man auf staatliche Finanzierungshilfe pochen. Und man könnte Ehrenamt generell mehr pushen und belohnen. Zum Beispiel durch anrechnen als Rentenpunkte. Dann haben die, die ehrenamtlich helfen auch was davon. Und die Politik müsste einen anderen Umgang mit Lebensmitteln vorgeben. So weit ich weiß ist Containern verboten. Da schmeißen Supermärkte gutes Essen weg und die Leute, die das verwerten wollen, machen sich strafbar. Es muss eine andere Möglichkeit geben, den Überschuss zu verhindern und gleichzeitig alle adäquat zu versorgen.

    LG Janine

  3. Reply Fabienne 2. Februar 2019 at 13:55

    Liebe Franzi,

    vielen lieben Dank für den tolle Beitrag und den Blick dahinter. Das ist ehrlich gesagt ein Thema, das war mir so gar nicht bewusst. Ich dachte immer: „Toll, dass es so etwas gibt und arme Menschen davon profitieren können.“ Dass da nicht immer alles so rund läuft, war mir so irgendwie gar nicht bewusst.

    Liebe Grüße
    Fabi von http://www.villaimmergruen.de

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